Von Armen für Arme produziert: Bidis

Allgegenwärtig und viel günstiger als normale Zigaretten gehören Bidis zum Straßenbild Indiens, Bangladeschs und einiger anderer Länder. Produziert werden diese “Arme-Leute-Zigaretten” von den Ärmsten der Armen.


“Stechender Gestank füllt die Luft…Hunderte zarter Hände arbeiten sorgfältig auf dem Boden einer Fabriketage….Viele Kinder zwischen 6 Monaten und vier Jahren schlafen unbeachtet auf dem Boden.”1

Bidis sind dünne, handgerollte Zigaretten  aus zerkleinertem Tabak in einem Tendu-Blatt2. Damit die (armen) Konsument_innen das Produkt weiterhin abnehmen und die Hersteller_innen Profite machen, steigt der Druck, die Produktionskosten niedrig zu halten. Das hat fatale Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Gesundheitsgefahren, fehlende Absicherung, lange pausenlose Arbeitszeiten, Kinderarbeit, niedrige Bezahlung.

In Indien sind offiziell 4.5 Millionen Menschen3 in der Bidi-Industrie beschäftigt.4 In Bangladesch gibt es laut Tobacco Industry Watch Bangladesch 117 Bidifabriken und 65.000 Beschäftige, es kursieren jedoch auch Zahlen von bis zu 2.5 Millionen Arbeiter_innen. Ein Großteil der Kinderarbeit Bangladeschs und Indiens findet in dieser Industrie statt. Die Produktionsbedingungen in Bangladesch und Indien ähneln sich sehr und insofern nicht anders angemerkt gelten Beschreibungen für beide Länder.

Arbeitsintensive Produktion

Die Produktion benötigt nicht viel Kapital, aber viel Handarbeit. Die Arbeiter_innen sind so günstig, die benötigten Materialien so wenige, dass der Einsatz von Maschinen sich nicht lohnt.5

Drei Kategorien von Arbeiter_innen sind bis zur fertigen Bidi beschäfigt. Zunächst Arbeiter_innen, die die Rohstoffe bereitstellen. Diejenigen also, die in den Wäldern Tendu-Blätter sammeln, sowie Tabakbauern und -bäuerinnen. Hier soll es jedoch um die Arbeitsbedingungen derjenigen gehen, die Bidis herstellen.

  1. Tabakblätter werden mit Hilfe eines Siebs oder maschinell zerkleinert, die Tabakflocken dann in der Sonne getrocknet. Dies geschieht meist in Fabriken. Die folgenden Schritte werden sowohl in Fabriken als auch in Heimarbeit durchgeführt:
  2. Arbeiter_innen schneiden Tendu-Blätter zu und entfernen dicke Blattadern, um gleichmäßige Bidis rollen zu können.
  3. Eine Handvoll Tabak wird auf ein Blatt gegeben, das in einer geschickten Bewegung zusammengerollt wird. Das offene Ende wird mit kurzem Druck eines Fingers verschlossen, um das untere Ende wird ein Faden gebunden. Oder: Bidihülsen werden zunächst vorbereitet, anschließend befüllt und an beiden Enden verschlossen. Das Befüllen bzw. Rollen findet vorwiegend in Heimarbeit statt, wie über 90% der Bidiherstellung.
  4. Die in Heimarbeit produzierten Bidis werden in die Fabriken gebracht und dort zu Päckchen zu 25 Bidis oder größeren Bündeln gepackt.
  5. Das Überprüfen der Qualität, Trocknen, Roasting und Labeln findet normalerweise in den Fabriken statt, gewöhnlich durch Männer.

Auf diese Art werden Millionen von Bidis in Handarbeit hergestellt, die anschließend in kürzester Zeit in Rauch aufgehen. Ob in der Fabrik oder Zuhause, Bidis rollen ist eine staubige Angelegenheit. Tabakstaub überzieht den Körper und wird eingeatmet, viele Arbeiter_innen leiden unter Husten, häufigen Fiebern, Bauchbeschwerden und Nikotin dringt durch die Hände in den Körper ein, auch durch Kinderhände.

Schlechte Bezahlung

In Bangladesch werden Bidi_arbeiterinnen nach Stückzahl bezahlt, die Mengenvorgaben liegen dabei zwischen 10.000 und 14.000 Bidis pro Tag. Pro 1.000 Bidis werden zwischen 11 und 17 taka (0,10-0,16€) bezahlt, darin ist der gesamte Prozess von der Vorbereitung der Hülse, über das Befüllen bis zum Packen der Bidis enthalten. Der wöchentliche Verdienst liegt zwischen 440 und 952 taka (ca. 4-9 €) oder maximal 40,52€ pro Monat.6

Während die Fabriken häufig nur an 4 Tagen geöffnet haben, arbeiten die Produzent_innen in Heimarbeit oft bis zu 15 Stunden täglich an 7 Tagen pro Woche. Für diejenigen, die nicht direkt bei Fabriken angestellt sind, sondern über mündliche Verträge für Mittelsleute produzieren, sieht die Bezahlung noch schlechter aus, da die Vermittler_innen ihren Anteil abziehen.7 Weil die hohen Stückzahlen von einzelnen Personen kaum erreicht werden können, arbeiten ganze Familien an der Erfüllung des Solls und beschäftigen ihrerseits häufig noch weitere Personen. Frauen und Kinder machen einen Großteil der Arbeitskraft aus.

Das heißt, das oben erwähnte Monatseinkommen ist das der ganzen Familie. Die typischen Arbeiter_innen besitzen sehr wenig oder kein Land oder Nutztiere. Ihnen mangelt es an Bildung und Quellen zu unabhängigem Einkommen, um vielköpfige Familien zu versorgen. Ihre Lösung heißt Bidiproduktion. Hier braucht es außer geschickten Fingern keine besonderen Fertigkeiten.

Heimarbeit

Das Rollen der Bidis wird vor allem in Privathaushalten ausgeführt. Zulieferer_innen haben Verträge mit Hersteller_innen, denen sie die Lieferung einer bestimmten Menge fertiger Bidis zusagen. Sie versorgen die Familien der Bidiarbeiter_innen mit den Rohmaterialien der Fabrik und liefern die fertigen Produkte bei den Hersteller_innen ab. Verschiedene Motive veranlassen die Hersteller_innen mit Subunternehmer_innen zu arbeiten.

In Indien verpflichtet der Beedi and Cigar Workers Act die Hersteller_innen zur Zahlung eines Mindestlohns, der durch Mittelsleute jedoch oft umgangen wird. Fabrikarbeiter_innen haben versucht, sich in Gewerkschaften zu organisieren, doch die Hersteller_innen waren nicht bereit, eine organisierte oder aushandlungsmächtige Kraft (Tarifpartner) in ihrem Produktionssystem anzuerkennen. Durch das System der Heimarbeit und der Unterverträge befinden sich die Arbeiter_innen nicht an dem Ort, wo die Gesetze für die Industrie oder das Fabrikgelände wirken. Gewerkschaften, die bemüht sind, Arbeiter_innen zu ihren Rechten zu verhelfen, haben es schwer, heimarbeitende Frauen zu mobilisieren und Kinder davon abzuhalten, solche Arbeit aufzunehmen – oder vom Aufhören zu überzeugen.

Die indische Gesetzgebung sichert den Bidi-Arbeiter_innen außerdem weitere Rechte zu: Mutterschaftsgeld, Vorsorgereserve, Gesundheitsleistungen, Kollektivversicherung, Pausen, Housing Assistance.8 Zu diesen Vorteilen haben Heimarbeitende allerdings keinen Zugang.

“No under-eighteen workers are employed here”

“No under-eighteen workers are employed here” ist in vielen Fabriken auf Schildern zu lesen. Doch ein Blick in die Fabriken, so er genehmigt wird, oder die Berichte von Bidi-Arbeiter_innen strafen diese Aussage Lügen.9 Bangladesch und Indien haben die UN Kinderrechtskonvention unterzeichnet, deren Artikel 32 besagt:

“Die Ver­tragsstaaten erken­nen das Recht des Kindes an, vor wirtschaftlicher Aus­beu­tung geschützt und nicht zu einer Arbeit herange­zo­gen zu wer­den, die Gefahren mit sich brin­gen, die Erziehung des Kindes behin­dern oder die Gesund­heit des Kindes oder seine kör­per­liche, geistige, seel­is­che, sit­tliche oder soziale Entwick­lung schädi­gen könnte.”

Basierend darauf benennen beide Staaten Arbeit in Zigaretten- und Bidifabriken als ungeeignet für Kinder. Doch die Art, wie die Bidi-Produktion organisiert ist, mit ihrem großen Anteil an Heimarbeit, befördert die Unsichtbarkeit der Arbeiter_innen. Das Vertragssystem schafft Bedingungen, unter denen Kinderarbeit schwerer beseitigt werden kann.

Indiens Gesetz gegen Kinderarbeit hat ein Schlupfloch: wenn Kinder in der Familie bei der Arbeit helfen, gilt das nicht als Kinderarbeit. Und die Arbeitgeber_innen betonen, Arbeit nur an Erwachsene zu vergeben. Wirtschaftliche Notwendigkeit und die Vorgabe, große Mengen zu produzieren, treiben Eltern dazu, ihre Kinder mitarbeiten zu lassen. Sie wissen häufig nicht Bescheid über Arbeitsrechte, den Child Labour Act (Indien), Mindestlohn und andere Sozialleistungen. Die Industrie profitiert von den kleineren, schnellen Händen und der einfacheren Beherrschbarkeit der Kinder.

Bidiproduktion: Krankheit – Armut – Kinderarbeit

Die Probleme, die für Arbeiter_innen entstehen sind vielfältig.

Durch Tabak, Tabakstaub und Hitze in den Fabriken leiden sie unter Tuberkulose, Lungenkrebs, Asthma, Anämie, Haltungsschäden und Sehbeschwerden.10

Der geringe Verdienst, die hohen Produktionsquoten und der hohe Arbeitsaufwand führen zur Notwendigkeit, Kinder mitzubeschäftigen. Eine Schule besuchen diese nicht mehr oder nur sehr selten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Familien in Armut bleiben, steigt so.

In der weitverbreiteten informellen Produktion können Arbeitsschutzgesetze schwer oder gar nicht durchgesetzt werden. Doch auch im organisierten Bereich müssen Arbeiter_innen für ihre Rechte kämpfen, häufig gegen starke Widerstände. Sie riskieren, den Arbeitsplatz zu verlieren, und protestieren unter Lebensgefahr.

Photoessays zum Thema:

Inside Bangladesh’s Cheap Cigarette Factories

Photo Story Contest – Bidi

Beedi Industry’s Child Workers Trapped in Economic Slavery


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