Freihandel kann tödlich sein: Was sich die Tabakindustrie von TTIP verspricht

Tabakkonzerne wie Philip Morris benutzen internationale Handelsabkommen, um neue Märkte zu erschließen und gesetzliche Regulierungen auszuhebeln. Für diese Strategie bietet TTIP völlig neue Möglichkeiten. Was können wir dagegen tun?


Es informieren:
Dietmar Jazbinsek, freier Journalist
Laura Graen, freie Autorin (For Changemakers)

Moderation:
Anja Krüger, taz-Redakteurin

Dienstag, 7.7.2015, von 18.18 Uhr bis 19.19 Uhr
taz Café, Rudi-Dutschke-Straße 23
Berlin-Kreuzberg / Eintritt frei

Hintergrund

Die Kampagne für die Einführung eines transatlantischen Freihandelsabkommens hat ein neues Stadium erreicht: Zu Beginn wurden die Verhandlungen über TTIP so geräuschlos wie möglich geführt, um die Öffentlichkeit gar nicht erst hellhörig zu machen. Nachdem erste kritische Stimmen laut wurden, hat man Hochglanzbroschüren gedruckt, in denen Millionen neuer Arbeitsplätze und Wohlstand für alle in Aussicht gestellt wurden. An diese Modellrechnungen glauben heute nicht einmal mehr diejenigen, die sie in Auftrag gegeben haben. Die Befürworter von TTIP haben deshalb die Marschrichtung geändert und konzentrieren sich heute auf die persönliche Diffamierung ihrer Kritiker, auf den Spott über Chlorhühnchen-Choleriker und Hormonfleisch-Hysteriker. Es sei die typisch deutsche Angst vor Veränderungen, so heißt es in Kreisen der EU-Kommission und des Wirtschaftsministeriums, die die wunderbare Welt des Freihandels in Misskredit bringe. Im Übrigen könne man kein Abkommen kritisieren, das noch gar nicht ausverhandelt worden sei.

Was die Kampagne für TTIP ausblendet sind die konkreten Erfahrungen, die mit den bislang abgeschlossenen bilateralen und multilateralen Handelsabkommen gemacht wurden. Es gibt historische Dokumente, die belegen, dass solche Abkommen vor allem den Interessen großer Unternehmen dienen und dass der Freihandel durchaus tödliche Folgen haben kann. Es handelt sich dabei um interne Dokumente der Tabakindustrie, die aus Gerichtsverfahren in den USA hervorgegangen sind und die nun im Internet abgerufen werden können.

Die Tabakindustrie-Dokumente geben Aufschluss darüber, wie westliche Zigarettenkonzerne in den 1990er Jahren internationale Handelsabkommen genutzt haben, um sich Zutritt zu den Märkten in Südostasien zu verschaffen. Als Zielgruppen der Tabakwerbung wurden vor allem Jugendliche und Frauen ins Visier genommen. Der freie Handel mit Tabakprodukten führt in Staaten wie Südkorea oder Thailand also tatsächlich zu mehr Wachstum – und zwar zu einem Anwachsen der Zahlen von chronisch Kranken und Tabaktoten.

Philip Morris verklagt Uruguay. Mehr Infos und weitere Fälle in der Karte der Strategien.

Weitere Fälle in der Karte der Strategien

2010 ging der Marlboro-Hersteller Philip Morris noch einen Schritt weiter und verklagte Uruguay auf der Basis eines bilateralen Handelsabkommens mit der Schweiz. Anlass für die Klage war die Entscheidung der uruguayischen Regierung, die Produktpalette bei Zigaretten einzuschränken und die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen zu vergrößern, um die Bevölkerung besser vor den Gefahren des Rauchens zu schützen. Ende 2011 legte Philip Morris eine ähnliche Klage gegen Australien ein, nachdem dort die Einführung von Einheitspackungen für Zigaretten beschlossen worden war. Unter Berufung auf bestehende Handelsabkommen unternimmt der Zigarettenkonzern derzeit den Versuch, die Entscheidungen der Parlamente und Verfassungsgerichte beider Länder auszuhebeln.

Strategien_Cover

Studie „Strategien der Tabakindustrie: Werbekampagnen, Klagen, politische Einflussnahme“.

Auch wenn noch offen ist, wie die Schiedsgerichtsverfahren gegen Uruguay und Australien ausgehen, haben sie heute schon praktische Konsequenzen: Andere Länder werden davon abgehalten, vergleichbare Gesundheitsgesetze auf den Weg zu bringen, weil ihnen die Ressourcen für einen langwierigen Rechtsstreit mit multinationalen Großunternehmen fehlen. Das gilt vor allem für afrikanische Staaten, die in letzter Zeit entsprechende Drohbriefe von Tabakkonzernen erhalten haben.

Vor dem Hintergrund der Lobbyerfolge, die die Tabakindustrie den bestehenden Handelsabkommen zu verdanken hat, wird verständlich, warum sie sich mit Nachdruck für den Abschluss des transpazifischen und des transatlantischen Freihandelsabkommens einsetzt. Weil Zigarettenkonzerne in der Öffentlichkeit keinen sonderlich guten Ruf haben, betreiben sie ihre Freihandelspolitik nicht auf offener Bühne, sondern unterstützen hinter den Kulissen die Kampagnen von Lobbyorganisationen wie dem „Emergency Committee for American Trade“.

In der Informationsveranstaltung soll es darum gehen, welche Schlussfolgerungen aus dem Fallbeispiel der Tabaklobby zu ziehen sind:

  • Genügt es, den Handel mit Tabakprodukten aus den Handelsabkommen explizit auszuklammern, wie es Malaysia im Kontext der TPP-Verhandlungen gefordert hat?
  • Die Tabakfirmen setzen sich insbesondere für die Festschreibung des Schiedsgerichtsverfahrens, die Ausweitung von Markenrechten und die frühzeitige Information der Konzerne im Rahmen der „regulatorischen Kooperation“ ein. Muss und kann man diese Regelungen abändern?
  • Oder führt jede Nachbesserung dazu, einem Abkommen den Anschein von Legitimität zu verleihen, das letztlich darauf hinausläuft, die Fundamente unserer Demokratie zu untergraben?

Gefördert von Engagement Global im Auftrag des 

Mit freundlicher Unterstützung der LEZ Berlin LEZ


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